BALBINA

UND DAS ATELIER DER ENTDECKUNGEN.

ÜBER ERFOLG

Foto: Luca Laurence.

Schere, Nadel, Stofflagen … Wenn Balbina ihre Musik produziert, bedient sie sich an weitaus mehr Instrumenten, als es Musiker für üblich tun. Die Berlinerin inszeniert ihre Alben wie Gesamtkunstwerke und behält dabei alle Fäden in der Hand. Für Balbina gehört zu jedem Song neben künstlerischer Freiheit immer auch ein visuelles Konzept, das zusammen mit dem Klangkleid erst die komplette Komposition ausmacht. Damit kaschiert sie nicht etwa fehlende Inhalte, sondern betont die plakative Sprache ihrer durchdachten Texte, in denen sie ihre Entdeckungen des Tages durch ein feines Nadelöhr zieht. Balbina drapiert ihre Worte um Kanten und Haken und besingt mit ihrer unverkennbaren Stimme auch die zu uns gehörenden Unschönheiten wie Abfallberge und Schutt. Das ist kein kalkulierter Effekt, das ist eine künstlerische Maßnahme.

Interview: Alexandra Helena Becht

Nach vielen Jahren als Musikerin unter dem Radar und langen Durststrecken wird Balbinas Musik inzwischen größere Aufmerksamkeit zuteil. Ist das nun der ersehnte Erfolg als Künstlerin?

Balbina:
Erfolg ist für mich Selbstverwirklichung. Und nicht, etwas zu erschaffen unter dem Druck einer Gefälligkeit oder etwas abschwächen oder verstärken zu müssen. Freiheit in der Abbildung, von dem was man gerne ausdrücken möchte – ohne dass es anderen schadet oder sie verletzt.

Hört man Balbinas Musik aus früheren Zeiten an, bevor sie von einem Label unter Vertrag genommen wurde, wird klar, wie nah sie sich als Künstlerin schon damals war. War das Verständnis von Erfolg als Inbegriff künstlerischer Freiheit schon damals so klar ausformuliert?

Balbina:
Das ist gleich geblieben und ich habe zu keinem Zeitpunkt das, was ich der Öffentlichkeit zuführe, verändert oder angefasst. Das hatte zur Folge, dass ich viele Kämpfe führen musste, der ein oder andere mich gar nicht gut leiden kann und ich in der Musikbranche nicht die Beliebteste bin. Weil ich eben genau weiß, was ich abbilden möchte, und es ebenso tue, wie ich es für richtig halte. Das ist auch mein Erfolg, aber er hat auch einen höheren Preis.

Foto: Nicolas Höfer.

Künstlerische Freiheit bedeutet auch, dass man viel selbst umsetzen muss, um die Zügel in der Hand zu behalten. Inwieweit hat das Label diese Art der Zusammenarbeit akzeptiert und gefördert?

Balbina:
Ich musste mir diesen Freiraum erst schaffen. Das war in den ersten Wochen und Monaten der Zusammenarbeit, in denen ich sagen musste, wie es für mich läuft und wie nicht. Danach wurde das stillschweigend akzeptiert. Demnach konnte ich zwar machen, was ich will, habe aber nicht so viel Unterstützung erhalten. Die Flächen, die ich mir in der medialen Aufmerksamkeit erkämpft habe, kamen durch meine Kunst und nicht durch die Unterstützung in der Branche zustande. Umso mehr sind diese Errungenschaften aber auch wert.

Auftritte mit dem Filmorchester Babelsberg, Tourneen mit Herbert Grönemeyer, aufwendig produzierte Musikvideos. In der Außenwahrnehmung scheint es, dass es Balbina als Künstlerin geschafft hat und von ihrer Kunst leben kann. Ein Trugschluss?

Balbina:
Ich arbeite erst seit 2015 nicht mehr als Verkäuferin. Ich mache seit 17 Jahren Musik und habe immer parallel einen Job gehabt. Für mich war Musik immer der Hauptberuf und das andere war Mittel zum Zweck, um Geld zu verdienen. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass ich im nächsten Jahr nicht wieder irgendwo einen anderen Job annehmen muss. Man lebt so von Monat zu Monat. Ich finde es erstaunlich, dass viele Menschen glauben, ich wäre reich, weil meine Musik im Kulturteil und Feuilleton Aufmerksamkeit erhält. Das ist nicht so und ich muss auch schauen, wo ich bleibe.

Foto: Alexander Andrews.

Unzählige Künstler müssen neben ihrer Kunst mit regulären Jobs Geld verdienen, um über die Runden zu kommen. Das bedeutet oft auch, mit dem Körper anwesend zu sein und sich mit dem Kopf und dem Herzen woandershin zu sehnen. Wie gelingt dieser Sprung zwischen diesen Parallelleben?

Balbina:
Ich hatte das Glück, dass ich in dem Job als Verkäuferin eine gewisse Schönheit entdeckte. Ich habe diese Schichten als anstrengenden Luxus empfunden, weil ich dadurch gezwungen war, mich nicht mit meiner Musik auseinanderzusetzen. In gewisser Weise waren sie eine Pause von der schöpferischen Denkarbeit beim Musikschreiben. Zudem hatte ich auch immer das Glück, dass ich meist in Läden mit sehr netten Menschen gearbeitet habe. Seitdem ich seit drei Jahren hauptberuflich als Musikerin arbeite, blicke ich manchmal sogar sentimental zurück und vermisse mein Kollegium und die Teamarbeit. Diese Arbeit hatte so einen Pragmatismus, etwas Handfestes, das mir fehlt.

Als Macherin und kreativer Kopf ist Balbina längst auch als Musikvideoproduzentin aktiv und unterstützt andere Künstler beim Schreiben ihrer Songtexte. Könnte die Arbeit hinter den Kulissen ein zweites Standbein für den Fall der Fälle sein?

Balbina:
Ich schlage mich so lange, wie es geht, durch, spiele einmal im Jahr Lotto. Plan B wäre, wieder als Verkäuferin zu arbeiten. Zwar könnte ich für andere Texte schreiben, was ich teilweise auch schon mache, weil ich es spannend finde, in andere Welten reinzuschauen. Jedoch ist die Aussicht, damit seinen Unterhalt zu verdienen, eher schlecht. In der Branche verdienst du nur dann viel, wenn du an der Spitze stehst. Selbst andere Songwriter, die ich kenne und die für namhafte Künstler erfolgreiche Songs geschrieben haben, arbeiten teilweise in weiteren Jobs.

Kunst braucht Raum, in dem sie sich entfalten kann. Ebenso brauchen Künstler Umfelder, in denen sie sich wohlfühlen, und Menschen, mit denen sie eine kreative Sprache sprechen. Die richtigen Leute zu finden ist ein großes Glück. Welche Strukturen braucht es, um ein Projekt von Balbina umzusetzen?

Balbina:
Ich arbeite in erster Linie mit meinem Kreativpartner Nico Höfer zusammen. Ansonsten habe ich mich von fast allen Strukturen getrennt, unter anderem auch von meiner Plattenfirma, da ich immer mehr dazu tendiere, meine Projekte im Alleingang zu realisieren. Ich denke, dass ich in der Dimension, in der ich stattfinde, mich selbst am besten betreuen kann. Daher gründe ich gerade mein eigenes Label. Nicht um andere Künstler unter Vertrag zu nehmen, sondern um meine Musik selbst rauszubringen. In diesem Bezug möchte ich mich unbedingt emanzipieren, da ich schon nach dem ersten Major-Release gemerkt habe, dass ich in das Major-Business nicht hineinpasse. Daher ist das mein nächstes Projekt: alles aus einer Schaltstelle zu machen und mir selbst die richtigen Leute für einzelne Dinge dazu zu nehmen, wenn ich sie brauche. In den Parametern, in denen ich Dinge finanzieren kann, kann ich sie auch selbst stemmen. Ich brauche gar nicht diese große Struktur, wie sie internationale Stars haben – das wäre für Balbina aus Wilmersdorf vermessen.

Foto: Thought Catalog.

War die Zusammenarbeit mit einem Major-Label rückblickend überhaupt nötig, um die letzten beiden Alben zu veröffentlichen und größere Aufmerksamkeit zu erlangen?

Balbina:
Ich habe oft gedacht, ich hätte meine Alben auch allein veröffentlichen können. Ich habe ja davor auch schon Alben veröffentlicht und war auf Tour. Die Person, die mich unter Vertrag genommen hat, hat dies aufgrund von über die Jahre voran gegangenen Gesprächen getan. Das war für mich dann nicht so – oh jetzt kommt die Musikkarriere –, sondern ein Add-on, ein Kooperationspartner. Meine Musik ist vorher schon eher im Kulturbereich aufgefallen, das wurde nicht speziell von der Label-Struktur in diese Richtung geleitet. Hätte ich auf Berater gehört, hätte ich bestimmte Dinge gar nicht gemacht und somit auch auf eine bestimmte mediale Aufmerksamkeit verzichten müssen. Ich denke, die Struktur eines Labels ist relevant, wenn du eine andere Art von Musik machst. Es hat einfach auch Gründe, warum bestimmte Künstler besser bei Indies aufgehoben sind.

Inhaltlich wie äußerlich wirkt Balbina stilsicher und setzt ihr Verständnis von Musik als Kunstform entschieden um. Gab es jemals Zweifel daran, für diese eigenwillige Musik und sperrigen Texte eine größere Hörerschaft gewinnen zu können?

Balbina:
Ja, immer. Ich habe immer schon im Großen Ablehnung erfahren und im Kleinen überschwängliche Zustimmung. Ein kleiner Kreis begeistert sich so sehr, dass es die Ablehnung der Masse aufwiegt. Natürlich habe ich auch zerknirschte Tage. Dennoch, die Masse ist kein Indikator für Qualität. Qualität kann man nur vorantreiben, wenn man sich daran gewöhnt, gegen den Strom zu schwimmen. Und wenn selbst der kleine Kreis an Hörern irgendwann verschwindet, habe ich noch eine gewisse Sturheit, selbst daran zu glauben.

Fragen über Fragen“ Album 2017

„Über das Grübeln“ Album 2015

„Nichtstun“ EP 2014

„Bina“ Album 2011

DIE KÜNSTLERIN
Balbina Jagielska wurde 1983 in Warschau geboren und lebt seit ihrem dritten Lebensjahr in Berlin. Nach ersten musikalischen Kollaborationen mit der Berliner HipHop Szene veröffentlichte sie 2011 in Eigenregie ihr Debüt-Album „Bina“. Mit der EP "Nichtstun" (2014) und ihren beiden Alben „Über das Grübeln“ (2015) und „Fragen über Fragen“ (2017), die sie beim Musiklabel Four Music veröffentlichte, erlangte Balbinas Musik nationale Aufmerksamkeit. Sie spielte im Vorprogramm von Herbert Grönemeyer sowie mit dem Filmorchester Babelsberg und erhielt 2018 den Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Text. Nach der Trennung von Four Music plant Balbina ihre Musik zukünftig wieder selbst zu veröffentlichen.

Gibt es Momente, in denen sich die öffentliche Meinung plötzlich zwischen einen und die eigene Kunst schiebt und man nicht mehr so nah bei sich selbst ist?

Balbina:
Nein, ich bin so sehr bei mir. Ich reflektiere nonstop alles, was ich mache. So viel, dass ich froh wäre, wenn da eine Trennlinie wäre, sodass ich mich nicht so in mir und meinen Gedanken verlieren würde. Ich wünschte, ich könnte mich mal objektiver betrachten.

Zum Glück verschwendet Balbina ihre Textsicherheit nicht an das abgearbeitete Feld der Liebeslieder. Ihre feine Beobachtungsgabe widmet sich stattdessen Alltagsmacken, Flecken oder Haken. Dabei formuliert sie ihre Melancholie klar verständlich aus. Hilft das, um als Privatperson und als Künstlerin zu wachsen?

Balbina:
Ja, auf meinem Album findet man einige dieser Momente wie den Song „Der Trübsaal“. So was hilft mir in Phasen der Niedergeschlagenheit in meiner Selbstreflektion. Ich sage mir dann: O. K., es geht dir richtig dreckig, aber du lässt dich jetzt einfach gehen, heul‘ es raus, geh‘ nicht ans Telefon und genieß‘ es. Es ist wie eine Art Selbstreinigung. Also ganz anders als in diesen Ratgebern, die Traurigkeit wegblenden wollen. Denn wenn Traurigkeit eine ausgeprägte Seite einer Person ist, dann muss die auch gelebt werden. Natürlich nicht exzessiv, sondern in Maßen. Wenn ich drei Tage lang geheult und nur Fertigpizza gegessen habe, dann ist dieser Zustand am vierten Tag auch vorbei.

In ihren Songtexten zieht Balbina ihre sperrigen Gedanken und Entdeckungen durch ein feines Nadelöhr. Ist das der Versuch, eine komplizierte Welt verständlicher zu machen und das eigene Gedankenchaos zu ordnen ?

Balbina:
Der Grundgedanke ist, dass ich glaube: Alles bedingt alles und alles ist in allem. Ich denke, jeder Ablauf ist mit jedem anderen Ablauf zu vergleichen. So wie der Tag am Morgen beginnt, über den Mittag altert und am Abend endet, so verläuft zum Beispiel auch ein Menschenleben oder ein Produktzyklus. Ich vergleiche alles mit allem, setze Dinge gleich, suche und nutze den einfachsten gemeinsamen Nenner. Manche sagen, das ist zu weit gedacht, ich könnte ja nicht das Universum mit dem Schwimmbad um die Ecke vergleichen. Ich finde doch, das kann ich. Viele empfinden es auch als eine triviale und kindliche Art zu formulieren. Das mag vielleicht so sein, aber als ich Kind war, hatte meine Wahrnehmung genauso eine Berechtigung wie jetzt. Kinder nehmen in der Tat meine Songs immer auf der ersten Ebene war und finden es toll, weil es eine bildliche Sprache ist. Ich finde darin meine Freude und es regt mich zu einer anderen Reflektion an. Ich persönlich mag Songtexte nicht, die es unnötig kompliziert und langatmig machen und Worte nutzen, die sonst eher selten Verwendung finden. Aus diesem Schema erschließt sich nicht die Schwere und Wertigkeit der Kunst. Meine Songs kann und soll man auch auf der ersten Wortebene verstehen. Die Seife macht Flecken weg. Ganz einfach. Eine zweite und dritte Ebene ist natürlich eingeflochten, die des Fehlermachens generell und wie es sich da mit dem Wiedergutmachen verhält. Die vereinfachte Symbolik ist das, was ich liebe.

Foto: Fleur Treurniet.

Balbinas Musik besticht als Gesamtkunstwerk mit inhaltlicher Stärke und visueller Inszenierung. Geht das eine nicht ohne das andere oder geht es womöglich irgendwann auch mal mit Jeans und Sweater auf die Bühne, so wie es unzählige Singer-Songwriter machen?

Balbina:
Es kommt auf das Projekt an. Wenn das visuell für mich Sinn macht, ja. Ich schaue immer, was passt am besten zu dem, was ich formuliere. Im Moment sind es diese eindeutigen klaren Farben und Formen. Ich habe eine schroffe Art zu formulieren und meine Worte ähneln Klötzen. Das versuche ich in meinen Kostümen zu spiegeln. Das muss aber nicht immer so sein, je nachdem, wohin es musikalisch geht. In jedem Fall ist meine Musik aber immer ein Gesamtkonzept, egal in welche Richtung es geht. Ich arbeite so, als würde ich für das Theater arbeiten, ganz einfach, weil es mir Spaß macht, weniger wegen eines Alleinstellungsmerkmals.

Mit ihren letzten beiden Alben „Fragen über Fragen“ und „Über das Grübeln“ hat Balbina ihre eigene Nische gefunden und sich als Künstlerin behauptet. Fällt es bei neuen Songs und Projekten leicht, sich von vorangegangenen Erfolgen frei zu machen?

Balbina:
Wenn du vom Feuilleton gelobt wirst und besondere Erlebnisse und Auftritte erfahren durftest, fragst du dich schon auch mal: Was soll ich jetzt machen, um das wieder zu erreichen? Aber das Gute ist, das ist nur eine Denkfalle. Im Endeffekt sind Erfolge nicht danach zu gewichten, wie relevant das in der Öffentlichkeit ist. Vielmehr geht es darum, eine neue Idee zu entwickeln, die dich fasziniert. Ich denke, man sollte alles wie eine Geschichte betrachten. Es gibt Höhepunkte in meiner Karriere, die haben andere überhaupt nicht wahrgenommen. Beispielsweise, dass ich seit 2015 von der Musik leben kann, Gagen für Konzerte erhalte – darüber schreibt ja niemand. Ich denke, ich muss das alles einzig auf mein Leben beziehen und mit einer Ruhe rangehen, statt daran zu denken, ob das, was ich mache, mit Superlativen überhäuft wird oder nicht.

Balbinas Erfolge wie die diesjährige Auszeichnung mit dem Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Text inklusive einer Laudatio von Herbert Grönemeyer haben auch für andere Individualkünstlerinnen und -künstler Strahlkraft. Ist man sich dessen bewusst, dass es auch für andere Musiker von Bedeutung ist, wenn man mit einer so außergewöhnlichen Musik so besondere Erfolge feiert?

Balbina:
Es ist schön zu hören, aber es ist mir nicht bewusst. Ich sehe das selbst alles sehr schwammig und denke eher, ich bin komplett irrelevant und mein Leben hat keinerlei Bedeutung für andere. Wenn ich so was höre, nehme ich das an, aber trotzdem hinterfrage ich das sofort. Ich hatte so lange so viel Gegenwind, dass ich sehr selbstkritisch bin und Lob nicht an mich ranlasse. Ich stehe da zwischen einem „Ich bin genial, ich bin es nicht. Ich bin genial, ich bin es nicht“.

Foto: Thought Catalog.

Gab es Momente, in denen deutlich wurde, dass Erfolg aus weiblicher Sicht anders definiert ist als aus der Sicht der von Männern dominierten Musikindustrie?

Balbina:
Ja, weil es von der kommerziellen Branche festgelegt ist, wie eine Frau auszusehen hat, die Platten verkauft, wie Künstlerinnen sich präsentieren und welche Projekte sie haben. Und weil es so gesetzt ist, mit diesem weich gespülten, glatt gebügelten, gefälligen Frauenbild, trauen sich einige nicht, ein anderes zeitgemäßes Frauenbild in der Musikbranche zu positionieren.

Ist man als Musikerin und kreative Macherin gezwungen, sich ein wenig mehr von den tendenziell männlichen Verhaltensweisen wie „sich auf die Brust trommeln“ anzueignen, um sich als Frau gegen männliche Mitbewerber durchzusetzen?

Balbina:
Ja, man ist als Frau gezwungen, ständig und überall zu betonen, was man schon alles gemacht hat, um in seiner Leistung nicht untergebuttert zu werden und neben den männlichen Kollegen ungenannt zu bleiben. Ich habe zum Beispiel mein vorletztes und letztes Album koproduziert, was ich auch in Interviews erwähnt habe. Aber das wurde überhaupt nicht hervorgehoben und ich wurde auch nicht innerhalb der Branche für andere Produktionen angefragt. Im Gegenteil, es wird so in etwa davon ausgegangen, dass ich ein Projekt von fünf Männern bin, die meine kreative Arbeit machen. In der Musikbranche gibt es schon viele Quacksalber, die einfach behaupten, dass sie dieses und jenes geleistet haben, sich sozusagen einen Ruf erquatschen und plötzlich tatsächlich die Jobs bekommen, von denen sie nur erzählt haben. Und dann sind die auf einmal fest im Business verankert, weil sie sich so verkauft haben. Ich glaube, wir Frauen müssen für uns auch mehr von dieser Lockerheit gewinnen und eventuelle Kritik im Job nicht persönlich nehmen. Da sind uns Männer oft voraus, weil sie es eher sportlich nehmen oder sich von Niederlagen nicht emotional catchen lassen. Das Bild ist jetzt natürlich ein Stereotyp, dennoch denke ich, dass Emotionalität im Job in der Regel eher den Frauen zuzuordnen ist.

Ausbleibender Zuspruch, verschlossene Türen, schwach besuchte Konzerte, Zweifel an den eigenen Ideen und Umsetzungen. Haben Künstler und Musiker tendenziell einen Hang zur Selbstkasteiung oder warum setzen sich so viele solchen schmerzlichen Erfahrungen aus?

Balbina:
Weil der Prozess des Schaffens einfach Freude bereitet, und das überwiegt den Zweifel und die Niederlagen. Die Wunden kommen ja erst später. Das ist wie mit dem Schokoladeessen: Beim Essen macht es dir Freude und wenn du zu viel davon isst, wird dir schlecht – trotzdem verzichtet man nicht darauf.

Foto: Kerstin Musl.

Gab es Situationen, in denen es sich so anfühlte, dass die Kunst mehr nimmt als gibt?

Balbina:
Ja, die hatte ich vor allem als Teil einer Major-Industrie. Da musste ich so große Kämpfe austragen, dass ich mich gar nicht mehr mit meiner Kunst beschäftigen konnte. Sodass ich sogar manchmal überlegt habe, alles hinzuschmeißen. Aber da habe ich zum Glück einen Weg herausgefunden, indem ich diese Struktur verlassen habe.

Welchen Ratschlag sollten Musiker unter dem Radar beherzigen?

Balbina:
Sorgt aus eigener Initiative dafür, dass ihr genug Mittel zusammenkriegt, um euch in der Öffentlichkeit so gut es geht darzustellen – geht raus, macht Auftritte, produziert Videos. Schickt nicht irgendwelche Tapes an Leute, die sie sich eh nicht anhören. Als ich damals kein Budget für Videoproduktionen hatte, bin ich so weit gegangen, dass ich sogar Kredite aufgenommen habe. Durch dieses viele Selbstmachen, Projekte-Organisieren, Leute-Mobilisieren habe ich mich immer wieder dargestellt und Leuten die Chance gegeben, mich zu erkennen. Natürlich gab es auch Leute, die gesagt haben: Ich finde das gruselig, aber irgendwie auch interessant. Das ist letztlich auch eine Reaktion auf meine Musik. Ich beobachte es immer wieder, vor allem bei jungen Musikern, die mich fragen, wem sie ihre Demos schicken sollen. Meine Antwort ist: keinem. Diese Leute interessieren sich nicht für Demos. Du musst selbst aktiv werden. Sei es, dass du auf die Straße gehst und eine Aktion machst oder eben dein Projekt via Crowdfunding stemmst. Selbst wenn du in die Mainstream-Ecke willst, interessieren sich Leute aus der Branche erst dann aufrichtig für dich, wenn du schon etwas aus dir gemacht hast und man damit aus ihrer Sicht arbeiten kann. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass in der Plattenfirma jemand sitzt und sich Tapes anhört und diese inhaltlich bewertet. Dieses Entdecktwerden gibt es nicht. Du musst dich selbst entdecken.

Foto: Matt Artz.

Danke an Balbina für das Interview. Danke an die Leserinnen und Leser für das Interesse.

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