MARTIN KOHLSTEDT

PIANIST.KOMPONIST.EXPERIMENTALMUSIKER.

ÜBER ERFOLG

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Foto: Tobias van Schneider. Animation: Berkant Özdemir.

Ein Stück von Martin Kohlstedt zu hören, gleicht einem nächtlichen Sprung in unbekanntes Gewässer. Ein unberechenbares Spiel aus introvertierten und expressiven Klängen, das dich mitreißen oder aussieben wird. Seine Kompositionen sind ungefällig, werben nicht um Sympathie und wirken gleichzeitig mit ungeheurer Sogkraft.

Interview: Alexandra Helena Becht

Selten erlebt man Künstler, die sich so sehr in ihre Musik fallen lassen und verletzbar machen. Scheitern ist möglich. Wie also klingt Erfolg für den Künstler selbst?

Martin:
Ich habe es aus diesem Blickwinkel noch nie ganz betrachtet. Ich nenne Erfolg eher Vertrauen. Für mich war wichtig, Gleichgesinnte um mich zu scharen, die in irgendeiner Form in der Zeremonie dabeisitzen und das spiegeln können, was ich mache. Oder, besser gesagt, den Resonanzkörper für das bilden, was ich mache. Die Suche danach war ziemlich spannend für mich, denn du kannst das Gegenüber ja erst entdecken, wenn du dich selbst veräußerst. Also ziehe ich selbst erst mal die Hose runter und schaue, wer gegenüber auch dazu bereit ist.

Im Laufe der Veröffentlichungen von drei Studioalben hat sich Martin Kohlstedt eine stetig wachsende Hörerschaft erspielt. Inzwischen spielt er auf internationalen Festivals und in ausverkauften Konzerthäusern, darunter auch die Elbphilharmonie. Gleichzeitig nimmt das mediale Interesse zu. Muss Erfolg unbedingt auf großen Bühnen stattfinden oder kann er auch im Kleinen Ausdruck finden?

Martin:
Absolut. Ich mache Instrumentalmusik, die ist sogar sehr langwierig und bezieht sich auf sehr viele Wiederholungen und alles, was damit einhergeht. Das heißt, ich spreche so oder so eine Nische an. Ich mache das natürlich nicht kompatibel und ich glaube, dass das ein ausschlaggebender Punkt ist, dass ich eh mein Ding mache. Ob da eine oder keine Person oder fünfhundert Personen sitzen, das macht in dem Moment keinen Unterschied. Es ist die Teilhabe, durch die ich mich manchmal etwas weiter in die Stücke reintraue oder mich traue, gemeinsam mit den Leuten daran zu scheitern. Während man sich zu Hause immer wieder an den gleichen Schleifen versucht. Deswegen brauche ich ein Gegenüber.

Foto: © J. Konrad Schmidt

DER KÜNSTLER
Martin Kohlstedt ist gesprächig. Nicht mit Worten, sondern im stetigen Dialog mit seinem Instrument. In seinen Kompositionen drückt der junge Thüringer das aus, wofür Worte nicht reichen und spricht damit ein internationales Publikum an. Seine Konzerte sind musikalische Ereignisse voller Spielfreude und Improvisationskunst. Nach zwei Piano-Alben, Tourneen mit Konzerten in ganz Europa, Russland, den USA und im Iran veröffentlichte er auf seinem eigenen Label sein drittes und jüngstes Studioalbum „Strom“, das mit effektvoller Elektronik einen neuen Gesprächsfaden aufnimmt. Vor seinen Solopfaden wurde Martin Kohlstedt im Bereich Jazzklavier ausgebildet und studierte Medienkunst an der Bauhaus Universität Weimar. Noch immer vertont er regelmäßig die Bilder internationaler Filmemacher oder wirkt an der Produktion von Hörspielen und Theaterstücken mit.

Innerhalb weniger Jahre hat sich Martin Kohlstedt als Künstler behauptet. Die Tiefe und Charakterzüge seiner Kompositionen lassen vermuten, dass sie hinter den Kulissen lange vor ihrer Veröffentlichung natürlich herangewachsen und gereift sind. Gab es überhaupt je einen Plan, mit dieser Musik nach außen zu gehen und damit erfolgreich zu werden?

Martin:
Das muss unbewusst gewesen sein. Ich habe ja schon immer für mich gespielt. Die Stücke stammen teilweise aus meinem vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahr. Dann hab ich sie nach außen getragen und in kleinen Kreisen hin und wieder mal gespielt, aber das Potential nicht erahnt. Am Anfang war man noch unter extremer Selbstkritik und -beobachtung und man hat sich selbst noch eingeschnürt, in eine Box gepackt und sich nicht entfalten können. Und irgendwann hat man sich frei gemacht und auf der Bühne einfach was völlig Neues ausprobiert. Ich habe mich selbst ins kalte Wasser geschmissen und gemerkt, dass aus diesem Moment heraus plötzlich neue Sachen entstehen. Es ist keine einseitige Unterhaltung.

Songs, die statt mit merkbaren Titeln mit drei Buchstaben benannt werden. Konzerte, die statt durch Inszenierung durch Improvisation an Ausdruck gewinnen. Kompositionen ohne eingängige Refrains. Die Musik von Martin Kohlstedt verlangt dem Hörer etwas ab. Das Risiko der Ablehnung ist einkalkuliert. Wie lässt es sich sonst erklären, dass diese so kompromisslose, eigenständige Musik ein so großes Publikum erreicht?

Martin:
Ich habe ein zehnköpfiges Team hinter mir, wir sind ein eigenes Label, wollen selbst kommunizieren und alles überschauen. Ich möchte jeden Prozess kontrollieren können, selbst wenn der Digitalvertrieb meine Musik als Ambient einordnet kann das die völlig falsche Richtung annehmen. Aus diesem Grund habe ich überall die Kontrollsucht, das muss man schon dazu sagen. Das ist nicht einfach so passiert. Die Hälfte ist, das nach außen kompatibel machen. Man merkt auch, wie alles handelt, jeder gewinnt auch. Wenn man einmal verstanden hat, wie dieser Handel um Informationen oder Follower funktioniert, geht man eher mit einer oberflächlichen Seite nach außen, um das Innere zu fördern. Wir filtern damit ganz stark das Gegenüber, mein Gegenüber.

Foto: Alexandra Helena Becht

EDITION KOHLSTEDT
Über sein eigenes Hauslabel Edition Kohlstedt veröffentlicht Martin Kohlstedt seit 2014 eigene Musik und Projekte, an denen er in unterschiedlichster Weise beteiligt ist. Darunter auch die sich zugewandten Piano-Alben „Tag“ und „Nacht“ und das aktuelle Album „Strom“.

"Das große Ziel ist, sich irgendwann zu einhundert Prozent schutzlos auszuliefern."

Foto: Michael Olsen. Animation: Berkant Özdemir.

Die Vermutung liegt nahe, dass auch Major-Labels inzwischen aufmerksam geworden sind und vorgefühlt haben. Während andere Musiker einen Plattendeal zum erklärten Ziel formulieren, hat Martin Kohlstedt die Angebote abgelehnt und stattdessen das Hauslabel Edition Kohlstedt gegründet. Wieso diese bewusste Entscheidung gegen die Zusammenarbeit mit einem bereits etablierten Label?

Martin:
Das ist der nächste Schritt, wo man Erfolg definieren muss. Wir haben absichtlich die großen Labels abgelehnt, um unsere Pflanzen selbst wachsen zu lassen, nicht zu schnell und auch nicht irgendwohin, sondern überwacht und langsam. Für Major-Labels wäre wahrscheinlich der Künstler erfolgreich, der international riesige Hallen füllt. Für mich bedeutet erfolgreich zu sein, die richtigen Menschen gegenüber zu haben.

Künstlerische Freiheit kann Ansporn wie Bürde sein. Manche Künstler haben das Talent, finden die richtigen Leute, und doch schaffen sie es nicht über eine gewisse Schwelle. Oder aber der Erfolg steht plötzlich zwischen einem und der eigenen Kunst. Was trägt einen Künstler in Momenten voller Zweifel?

Martin:
Das beobachte ich auch sehr oft und ich habe es aus irgendeinem Grund geschafft, diesen Zweifel und diese Selbstzerstörung auch noch öffentlich zu machen. Ich gehe quasi so gnadenlos ehrlich vor. Selbst die Doku, die mein Freund Patrick Richter über mich gemacht hat, beschönigt nichts und knallt mir eine rein, indem Patrick mir damit meine Vergangenheit vorwirft und mich zum Entwickeln zwingt. Und als ich irgendwann erlaubt habe, das alles so herauszuwürgen und vielleicht zu scheitern, war ich um einhundert Kilo leichter.

Foto: Alexandra Helena Becht

Brauchen Musik und Kunst allgemein eine gewisse Melancholie und Niederlage, um zu wachsen und zu reifen?

Martin:
Absolut. Das ist die Range, die es ausmacht. Der leiseste und der lauteste Ton. Auch das krasseste und das seichteste Gefühl müssen irgendwie angetriggert werden können. Man muss unglaublich ekelhaft ehrlich mit sich sein. Vor allem in den ganzen Dingen, die man für sich noch nicht geordnet hat, vor denen man flieht, die man verdrängt. Das sind familiäre Krisen und alles, was damit einhergeht ... Daraus entsteht ein Vokabular, mit dem man zum Gegenüber spricht. Und da gibt es eben Künstler, die haben weniger Vokabular, weil sie sich noch nicht so befreit haben. Und dann gibt es andere, die es ganz genau raushaben, wie sie etwas Fließendes hinbekommen. Dann bin ich da sofort dabei. Mir geht es meistens überhaupt nicht um eine Performance oder um irgendwelche Namen. Man sieht das meistens innerhalb der ersten drei Sekunden, ob eine Person oder die Hülle davon auf die Bühne kommt. Und das merkt man natürlich auch selbst, man ertappt sich dabei, aus Schutz. Aber eigentlich ist das große Ziel, sich irgendwann zu einhundert Prozent schutzlos auszuliefern.

"STROM"
Das dritte Studioalbum „Strom“ ist auf Doppel-Vinyl, CD und digitalen Plattformen erhältlich und 2018 live auf zahlreichen internationalen Bühnen erlebbar.

Es scheint, als Hörer lauscht man einem Dialog zwischen Martin Kohlstedt und seinem Instrument. Live wird man Zeuge von einem leisen, intimen Austausch ebenso wie von lauten, unnachgiebigen Diskussionen und Verhandlungen. Welchen neuen Gesprächsfaden nimmt das Album "Strom" auf?

Martin:
Das Klavier ist mir so vertraut, ich habe es so verkörpert, dass ich mittlerweile alles Retrospektive in eine Bewegung umgeformt habe. Es gibt für alles so eine Art Grundvokabular. Da war dieses Gegenüber, bei dem ich mir nicht sicher war, ob es eine Illusion ist oder nicht. Das elektronische Gegenüber bedroht am Anfang, kämpft sich über das Album und wird am Ende mit sich einig. Akzeptiert, dass es beide Hälften einfach gibt. Elektronik habe ich schon immer mit auf der Bühne und brauche sie als Diskursinstrument. Ich muss Blumiges wieder kaputt machen, kontrastieren und karikieren können. Ich muss Kitsch erlauben und gleichzeitig wieder in die andere Richtung gehen. Denn das sind alles menschliche Ängste. Ich muss von Grund auf versuchen, neutral darauf zu schauen, und deshalb brauche ich eine große Range an Vokabeln. Einen aufkommenden Bass, der stützt und fest und unumstößlich ist, genauso wie eine zarte Klaviermelodie. Dieses Durchsetzen und dieses Verhältnis zueinander, der Platz, der dazwischen herrscht, da sehe ich das meiste Potential. Das ist, woran man formt. Man hat es noch nicht perfekt für sich, kann es nur umschreiben und Metaphern dafür finden. Deswegen macht man wahrscheinlich auch Instrumentalmusik.

"Irgendwann hat man sich frei gemacht und auf der Bühne einfach etwas völlig Neues ausprobiert."

Foto: Tim Marshall. Animation: Berkant Özdemir.

Kann es sein, dass das Klavier das ausdrückt, wofür Worte nicht reichen?

Martin:
Das ist ganz klar und deutlich, dass der Ton oder das Klavier, diese Möglichkeit der Range, der lauteste und der leiseste Ton, eine viel größere Möglichkeit haben, Dinge auszudrücken, als das armselige menschliche Wort. Es wird von verschiedenen Menschen anders interpretiert. Man kann immer nur umschreiben. Das Klavier verlangt das aber nicht von dir. Ich spiele manchmal eine Stunde einen Ton und bin damit völlig eins, es verlangt nichts weiter. Ich freue mich, das wie ein Katalysator sichtbar machen zu können und es mit so vielen Menschen zu teilen.

Foto: Alexandra Helena Becht

Bei seinen Konzerten sitzt Martin Kohlstedt mit dem Rücken zum Publikum und sucht während der Songs keinen Blickkontakt. Ist das eine Art, die eigene Deckung freizulegen?

Martin:
Ich lege meine Deckung frei und sitze nicht dem Publikum gegenüber, sondern schaue in die gleiche Richtung. Das ist ein ganz einfaches Symbol, was zeigt, da vorne ist ein Cockpit und wir fahren alle gemeinsam. Die Haltung verändert sich komplett. Für denjenigen, der da unten sitzt, der vielleicht selbst etwas mitbringt oder erst merkt, dass er selbst etwas mitbringen muss, damit es überhaupt alles funktioniert. Auch damit filtert man, wer da kommt. Da gibt es Leute, die sich fallen lassen können und mit sich sein können. Das ist mir sehr wichtig, dass ich sie nicht entblößend anschaue und dabei beobachte. Und das Gleiche können sie mit mir auch nicht tun.

Foto: Alexandra Helena Becht

Danke an Martin für das Interview. Danke an die Leserinnen und Leser für das Interesse.

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